Obwohl ich bereits im Artikel zu den unterschiedlichen Akupunkturarten das Thema Mikrosysteme angeschnitten habe, möchte ich es heute noch einmal mit dir vertiefen. Ich habe zunehmend bemerkt, dass das Thema für viele nicht so leicht zu verstehen ist. Deshalb möchte ich dir die Mikrosysteme hier noch einmal näher bringen.
Unter Mikrosystemen verstehen wir, die Abbildung des gesamten Körpers auf einem Körperteil. Du wirst jetzt die Augenbraue heben, den Satz eventuell noch einmal lesen und dich dann fragen, ob ich mich vertippt habe. Nein, das habe ich nicht. Stell es dir folgender Maßen vor: wir nehmen einmal eines der bekanntesten Mikrosysteme: das Ohr. Das Ohr selbst ist ein Körperteil. Es gibt jedoch am Ohr auch einen Punkt, der Einfluss auf die Lunge hat. Ebenso gibt es einen Punkt, der die Lendenwirbelsäule oder einen Punkt, der das Knie beeinflusst. Es ist quasi so, als hätte jemand Photoshop genommen, den menschlichen Körper zusammengefaltet, verkleinert und dann auf das Ohr gepackt. Du kannst durch eine gezielte Behandlung am Ohr den gesamten Körper beeinflussen.
Weitere bekannte Beispiele für Mikrosysteme sind die Fußreflexzonen, die Areale der Schädelskupunktur nach Yamamoto, die Zähne oder auch das Schienbein. Das klingt jetzt ziemlich wild, aber all diese Behandlungsmethoden gibt es. Einige Meinungen gehen davon aus, dass wie auf jeden Körperteil eine Abbildung des restlichen Körpers haben. Ich persönlich finde das sehr spannend.
Warum nutzen wir eigentlich diese Mikrosysteme?
Es scheint auf den ersten Blick leichter, in der Gegend der Beschwerden zu behandeln. Ich denke da nur an die Spannungskopfschmerzen nach einem langen Arbeitstag. Da nehme auch ich die Finger und reibe meinem Kopf an den Schläfen (übrigens heißt der Akupunkturpunkt an dieser Stelle Tai Yang). In diesem Fall ist es völlig logisch und gut, an der Stelle der Beschwerden zu behandeln.
Gehen wir aber von anderen Schmerzen aus. Bleiben wir einmal bei Kopfschmerzen. Wenn du zum Beispiel eine Migräne hast: Stell dir vor, dass ich während eines Migräneanfalls auf die Idee käme, eine Akupunkturbehaundlung am Kopf durchzuführen. Was wäre deine Antwort? Du würdest mir kräftig die Meinung fiedeln und so schnell wie möglich das Weite suchen. Oder wenn du dir den Fuß gebrochen hast, wirst du bestimmt auch nicht wollen, dass ich genau in diesem Moment eine Nadel in die Nähe des frischen Bruchs bringe.
Und da kommen unter anderem die Mikrosysteme ins Spiel. Hier können wir den Körper behandeln ohne genau mit der betroffenen Stelle in Berührung zu kommen. Das ist, wie ihr in den letzten Beispielen sehen konntet, manchmal sehr sinnvoll.
Ich persönlich mag die Ohrakupunktur sehr gern, um Akupunktur-Neulinge an die Behandlung heran zu führen. Für diese Form der Akupunktur musst du dich nicht komplett entkleiden. Du kannst angezogen vor mir sitzen. Das bringt besonders für ängstliche Personen ein Gefühl der Sicherheit. Auch für Menschen, die zum Beispiel aufgrund eines Traumas nicht gern am Körper berührt werden, ist die Ohrakupunktur eine wunderbare Therapie.
Eine weitere Erfahrung konnte ich machen, da ich in meiner Familie und meinem Bekanntenkreis eine Herde an Nadelphobikern (Menschen mit Angst vor Nadeln) habe. Du wirst vielleicht lachen, der ein oder andere wird Mitleid mit den Betroffenen haben – schließlich leben sie ja mit einer Ärztin mit einem Hang zur Akupunktur zusammen. Jep, das hat schon das ein oder andere Mal zu sehr lustigen Situationen geführt! Nichts desto trotz ist es gut, dass ich ein paar „schwierige Patienten“ habe, die nicht einfach die Behandlung abbrechen können. Sie müssen mir zumindest Feedback geben. Und daraus konnte ich nun erfahren, dass es besonders für Menschen, die Angst vor dem Nadelstich haben, erträglicher ist, am Ohr akupunktiert zu werden.
Wenn du auch zu den Menschen gehörst, die Angst vor dem Nadelstich haben, dann ist die Ohrakupunktur vielleicht auch für dich einen Versuch wert.